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Lehrer Josef Neugebauer unterrichtete ab 1945
in Neukirch, später in Oßling und Weißig
Und doch gab es mutige Menschen, die bereits die
Zukunft planten. Der Landrat zu Bautzen wandte
sich schon am 9. Juli 1945 mit eigenen Überle-
gungen und Vorstellungen an den Kamenzer Land-
rat Lassig:
- Das laufende Schuljahr endet mit dem 31. März 1946
- Wegfall der Sommerferien
- Beginn des neuen Schuljahres wird auf den 1. April 1946 festgelegt.
- Die Sommerferien fallen im Jahr 1946 aus. Dafür sollen die Herbstferien
um 1 - 2 Wochen verlängert werden.
Der Vorschlag wurde durch den Ortskommandanten der Sowjetarmee in
Kamenz abgelehnt. Es wird eine Zentrale Regelung geben, hieß es. Auch in
Dresden wollte man bereits am 23. Juli 1945 wieder mit dem Unterricht
beginnen. Ähnliche Vorstellungen gab es in Cunnersdorf. Am 16. August 1945
wollte der Bürgermeister aus eigenem Entschluss den Schulbetrieb wieder
aufnehmen. Auch hier gab es keine Zustimmung.
Am 2. Oktober 1945 gibt es folgende Mitteilung:
"Auf Befehl des Obersten Befehlshabers der Gruppe der Sowjetischen Kriegsadministration und Obersten Befehlshabers der Sowje-
tischen Besatzungsarmee in Deutschland vom 25.8.1945 ist der Unterricht an den Schulen aller Schularten am 1. Oktober 1945
wieder aufgenommen worden".
Mit diesem Befehl war aber nur der Start für eine unendlich große ideologische, geistige und materielle Aufbauarbeit erfolgt. In
Sachsen waren 33% der Schulgebäude zerstört oder beschädigt. Alles faschistische Gedankengut, ob in Wort oder Schrift, musste
aus dem Schuldienst entfernt werden. Alle noch verbliebenen Lehrer mussten sich einer "Entnazifizierung" unterziehen. In Sachsen
gab es im Januar 1946 3.400 Lehrer aller Kategorien, die nicht der NSDAP (Nartional Sozialistische Demokratische Arbeiter Partei)
angehörten. 9000 Neulehrer, die in kurzzeitigen Seminaren geschult werden sollten, fehlten noch. Demzufolge wurden zeitweilig
noch nationalsozialistisch belastete Lehrer beschäftigt.
Es fehlte auch an Unterrichtsmaterial, an Lehrbüchern, Heften, Stiften, Bänken, Stühlen und Tafeln, eigentlich an allem. Oft griff
man, auch in Weißig, auf die altbewährten Schiefertafeln zurück.
Die Schule zieht ins Schloss
Inzwischen hatte der Weißiger Bürgermeister Max Heyne dafür gesorgt, dass die Schule umziehen und mehr Platz bekommen konnte.
Das war auch dringend notwendig, denn außer den schon vorhandenen Dorfkindern waren viele Umsiedlerkinder im Ort verblieben,
deren Schulbildung ebenfalls weitergeführt werden musste. Und in dem bisher einzigen Klassenraum der alten Dorfschule war
wahrlich kein Platz mehr für so viele Schüler.
Außerdem gab es die Anordnung der Landesverwaltung Sachsen mit Ausführungstermin 1.12.46:
"Alle aus dem Schuldienst entlassenen Schulleiter und Lehrer, sowie Personen, die nichts mit dem Schulwesen zu tun haben, dürfen
Schulgebäude, in denen unterrichtet wird, nicht mehr bewohnen. Sie haben diese Wohnungen sofort aufzugeben".
Das betraf auch das alte Schulgebäude, in dem noch die Familie Göhler wohnte. Die Verlegung der Unterrichtsräume in das Schloss
löste dieses Problem. Das Schloss war zwar noch bis unters Dach mit Flüchtlingsfamilien belegt, aber das Erdgeschoss wurde teil-
weise geräumt; die betroffenen Familien anderweitig untergebracht. Im Ort, überall dort, wo noch ein wenig Platz war.
Der große Speiseraum der früheren Schlossbesitzer von Zehmen erhielt Trennmauern, die große eicherne Eingangstür wurde durch
zwei kleinere ersetzt. Zwei neue Klassenzimmer waren das Ergebnis, und der kleine runde Erker in Richtung großem Balkon wurde
zum Lehrerzimmer. In der ehemaligen Kapelle, im westlichen Anbau des Schlosses, fanden die wenigen Lehrmittel Platz. Damit
waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wenigstens aus der bisherigen einklassigen eine zweiklassige Schule entstand.
Keine ideale Lösung, aber ein Anfang.
Die ersten Lehrer
Anfang Oktober begann also auch in Weißig wieder der Unterricht. Die beiden Klassenzimmer waren notdürftig eingerichtet, durch
die hohen Fenster kam genügend Tageslicht bis auf jeden Arbeitsplatz. Frau Margarete Hermann, die bereits vor Kriegsende hier
unterrichtet hatte, übernahm gemeinsam mit Fräulein Elisabeth Pieper die Lehrtätigkeit. Zwar standen nun zwei Klassenräume zur
Verfügung, in die sich anfangs aber trotzdem noch vier Schuljahre drängen mussten. Für die Lehrer, und auch für die Schüler,
weiterhin eine schwierige Aufgabe, denn es blieben für jede Klassenstufe nur 15 Minuten übrig, in denen der Lehrer aktiv eingreifen
konnte, die restliche Zeit musste selbständig gearbeitet werden. Es lässt sich nicht mehr genau ermitteln, ob die Klassen nochmals
geteilt wurden und zeitlich versetzt Unterricht hatten. Wenn dies so war, wären trotzdem immer noch zwei Klassen gleichzeitig
unterrichtet worden.
Andere Lehrer kamen hinzu, Lehrer Martin Riedrich und Horst Kroll. Neben der Einführung neuer Fächer, wie Geschichte, Chemie
und Geographie, wurde die Qualität des Unterrichts verbessert, indem man aus Kamenz die Lehrer Geisler und Horst Kluge holte.
Martin Riedrich wohnte außerhalb des Ortes, im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Steinbruchs. Er
war ein kleiner, für uns Kinder ein alter, aber gutmütiger Mann und beliebter Lehrer. Seine Unterrichts-
stunden in Geschichte und Geographie wurden von uns oft zu Fragestunden ausgenutzt. Begeistert
erzählte er uns von Napoleon und von seinen Jugendstreichen, seinen Ausflügen in die Sächsische
Schweiz. Am Fahrrad hatte er sich ein Segel aus Mutters Bettlaken angebracht, um sich vom Wind
schieben zu lassen. "Manfred", sagte er zu mir, "wenn Du mal groß bist, musst du etwas erfinden, dass
die Bremskraft gespeichert und bei Bedarf, beispielsweise bergan, wieder verwendet werden kann".
Ich habe es leider nicht erfunden, aber es ist heute bei Hybridfahrzeugen gängige Praxis. Martin Riedrich war also ein Visionär.
Bei ihm hatten wir auch Zeichnen. Er brachte Schoblonen mit, die wir abpausen und anschließend ausmalen mussten. Begeistert
erzählte er von Afrika und seinen Tieren. Auf dem Nachhauseweg schwärmten wir noch davon und träumten von einer Fahrt dorthin.
Otfried Hänels Oma stand am Gartenzaun, dort wo früher die obere Milchrampe stand, und fragte ihren Enkel : "Wohin wollt ihr
fahren?" "Nach Afrika". Die Oma erwiderte: "Quatsch, du hast doch gar kein Rad".
Religionsunterricht, Sport und Musik
Auf freiwilliger Basis konnten die Schüler am Religionsunterricht teilnehmen, denn „Für die religiöse Unterweisung der Schulkinder
ist Artikel 93 der Verfassung des Landes Sachsen vom 28.2.1947 maßgebend. Demnach ist die Erteilung des Religionsunterrichts
Angelegenheit der Religionsgemeinschaft.“ Diese Aufgabe übernahm Herr Mauermann, der noch Musik unterrichtete und zeitweise
gleichzeitig den Weißiger Volkschor dirigierte.
Der Schulsport ließ sich anfangs schwer durchführen. Deshalb hieß es auf dem Zeugnis auch „Körperliche Erziehung“. Uns standen
weder eine Turnhalle, noch Geräte zur Verfügung. Alle örtlichen Gegebenheiten wurden genutzt. Schwerpunkt war der alte Sport-
platz an der Straße nach Milstrich. Lauf- und Sprungübungen, Ballspiele und natürlich Fußball standen hoch im Kurs. Sommers war
auch der Badeteich zum Schwimmen wunderbar geeignet. Aber Wettkämpfe undenkbar, Hauptsache, man konnte Schwimmen und
Tauchen, und es machte Spaß. Ebenfalls keine Leistungskontrollen im Wintersport, aber Rodeln und Schilaufen (meist auf Tonnen-
brettern) im Park. Wer richtige Ski hatte, konnte auch auf der "Todesbahn" neben der Gruft sagenhafte Sprünge von bis zu zwei
Meter erreichen.
Manchmal durften auch auf dem Schlosshof Ballspiele, wie Völkerball, absolviert werden, denn der Weg zum Sportplatz war sehr weit.
Fußballspielen auf dem Schlosshof, besonders außerhalb des Unterrichts, sah der Schlossverwalter Albert Petzschel gar nicht gern.
Da bemühte er oft seinen großen schwarzen Hund, um uns zu verjagen. Später stand uns der ehemalige Wintergarten als Turnraum
mit einigen Sportgeräten zur Verfügung.
Ein Musikinstrument stand uns bzw. den Lehrern anfangs nicht zur Verfügung. In der alten Schule hatte zwar ein Klavier gestanden,
das war aber irgendwie abhanden gekommen. Vielleicht war es in der Gaststätte gelandet. Deshalb begnügten wir uns beim Musik-
unterricht mit Singen. Viele Volks- und Wanderlieder haben wir erlernt, auch Kampf- und Arbeiterlieder, die bei Gemeinde-
versammlungen oder ähnlichen Anlässen dargeboten wurden.
Althergebrachte Erziehungsmethoden
Obwohl körperliche Züchtigung strengstens verboten war, hielten sich einige Lehrer nicht daran. Lehrer Bochnig hatte recht rabiate
„Erziehungsmethoden“. Schläge, Strafarbeiten und Nachsitzen waren an der Tagesordnung. Aber auch für die Schüler angenehme
Dinge, wie Holzhacken für den Lehrer während des Unterrichts, gehörten zu seinem Repertoire.
Ein typischer Vertreter dieser Art war auch Musik- und Religionslehrer Mauermann. Er hatte einen Glas-und einen Rohrstock zum
Schlagen auf die Finger. War der Rohrstock zerbrochen, musste der Gezüchtigte am nächsten Tag einen neuen mitbringen. Schilf-
rohr gab es ja genug in den umliegenden Teichen. Ein anderes beliebtes Spiel war, die Schüler in die Ecke zu stellen, wobei sie
einen schweren Medizinball mit ausgestreckten Händen halten mussten.
Ein Beispiel für Disziplinverstoß:
Auf dem Rittergutshof stand sommers ein alter Fischwagen. Das war ein Kastenwagen, oben eine Luke, innen geteert. Wir, das
waren vier oder fünf Jungen, haben uns in diesem Wagen verkrochen, vorher trockenes Laub gesammelt und aus Laub und
Zeitungspapier Zigaretten gedreht. Mit dem Brennglas wurden diese "Zigaretten" angezündet. Uns konnte niemand sehen,
glaubten wir, aber kräftiger Rauch stieg aus der Luke. Der hat uns verraten. Am nächsten Tag standen wir vor der Klasse und
mussten uns Schläge mit dem Glasstab abholen. So griff die „Obrigkeit“ damals in die Erziehung ein.
Häufiger Lehrerwechsel
Neben der geringen Anzahl der Lehrkräfte wechselten die Lehrer auch oft. Von anderen Schulen wurden kurzzeitig Lehrer hierher
delegiert, wie Herr Frank Bombach aus Straßgräbchen oder Herr Josef Neugebauer aus Oßling. Nach meinen Erhebungen waren
von 1945 bis 1952 in Weißig 17 Lehrer tätig.
Am 1. September 1947 trat Heinz Bochnig in den Schuldienst ein. Seine erste Station war Weißig. Die Qualifikation dafür hatte er
sich an einem Lehrerseminar erworben. Er selbst gab an, alles lehren zu können, außer Musik. Seine Frau, Ingeborg Bochnig, war
derzeit noch Lehrerin in Grüngräbchen. Sie wechselte erst im Mai 1948 nach Weißig und unterrichtete die Klassen 1 bis 4.
Offenbar war Lehrer Bochnig nicht als Schulleiter eingesetzt worden. Diese Stelle war noch offen, denn im Oktober 1947 beschließt
der Gemeinderat, die "Klärung der Schulleiterfrage mit dem Kreisschulrat" nochmals anzusprechen. Bochnig bekam diese Funktion
und unterschrieb am Schuljahresende 1948 die Zeugnisse als Schulleiter. Mit der Gemeinde stand Lehrer Bochnig nicht im besten
Envernehmen. Nicht nur seine Prügelei und die Anordnung von Privatarbeiten an die Schüler während des Unterrichts standen
unter Kritik; es muss auch andere Unstimmigkeiten gegeben haben.
Nicht ohne Grund beschloss der Gemeinderat am 8. Oktober 1948:
"H. Bochnig erschien trotz Anwendung des Ortsgesetzes nicht zum Arbeitseinsatz. Er versuchte durch eine belanglose Entschuldigung
sich davon zu entziehen. Es wurde beschlossen, ihm eine Strafe von 10,- DM und die entsprechenden Gebühren aufzuerlegen".
Lehrer Heinz Bochnig und seine Frau Ingeborg, die als Klassenlehrerin arbeitete, verließen Weißig im Juli 1950. Später kursierten
Gerüchte, dass Heinz Bochnig Mitglied der SS ("Schutzstaffel", berüchtigte faschistische Organisation) gewesen sein soll und des-
halb aus dem Schuldienst entlassen wurde. Wie gesagt, Gerüchte, aber kein Beweis.